Friday, July 2, 2010

Tag 1

Tagesthema:
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Für eine Auseinandersetzung mit der Frage der Zuwanderung ist es zunächst erforderlich, unterschiedliche Formen von Zuwanderung zu unterscheiden. Denn die Ursachen und Motive von Menschen, ihren Heimatort zu verlassen, können sehr vielfältig sein: Flucht vor Verfolgung, familiäre Gründe, aber auch die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz. Umgekehrt sind nicht alle Zuwanderer gleich gut zu integrieren.

Familienzusammenführung: Schon heute spielt der Nachzug der Familienangehörigen von bereits legal in Europa ansässigen Drittstaatsangehörigen quantitativ die wichtigste Rolle. EU-weit sind Mindeststandards für den Familiennachzug von Zuwanderern vereinbart worden, wobei die Mitgliedsstaaten aber integrationsspezifische Anforderungen an die nachziehenden Familienangehörigen stellen können.

Immigration von EU-Bürgern: In den EU-Ländern kommen im Durchschnitt nur 1,5 Prozent aller Arbeitskräfte aus einem anderen Mitgliedsland, wobei dieser Prozentsatz je nach EU-Land variiert. Er blieb während der letzten 15 Jahre fast gleich. Den größeren Teil der ausländischen Arbeitskräfte stellen immer noch die Angehörigen aus Drittstaaten. Die Immigration von Unionsbürgern, die innerhalb der Europäischen Union ohnehin Freizügigkeit genießen, findet in der öffentlichen Debatte indessen kaum Beachtung, und sie spielt auch quantitativ mit wenigen Ausnahmen nur eine geringe Rolle.

Spätaussiedler und Angehörige ehemaliger Kolonialstaaten: Angehörige der gleichen Nationalität oder aus ehemaligen Kolonien konnten in der Vergangenheit vergleichsweise einfach in die jeweiligen EU-Mitgliedstaaten einwandern. Die meisten Mitgliedstaaten haben hier ihre Gesetzgebung in den letzten Jahren jedoch verschärft. So wird beispielsweise in der Bundesrepublik die Einwanderung so genannter "Spätaussiedler" seit 1990 faktisch quotiert. Künftig müssen Spätaussiedler, die nach Deutschland kommen zudem ein Mindestmaß an deutschen Sprachkenntnissen vorweisen. In ähnlicher Weise bemühen sich inzwischen auch die ehemaligen Kolonialstaaten - vor allem Frankreich und Großbritannien -, Wanderungsbewegungen aus ehemaligen Kolonialgebieten Einhalt zu gebieten.

Arbeitsmigration: Inzwischen scheint sich jedoch auch in der Politik die Einsicht durchzusetzen, dass Europa aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen auf die vermehrte Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen sein wird. Daher gelten in vielen Staaten bereits heute Ausnahmegenehmigungen, die den allgemeinen Zuzugsstopp zur Besetzung von Arbeitsplätzen de facto außer Kraft setzen. So gibt es etwa in der Bundesrepublik nicht nur seit längerem diverse Möglichkeiten zur Grenzgängerbeschäftigung, zur Saisonarbeit oder zur Werkvertragsarbeit, sondern seit Mitte des Jahres 2000 auch wieder eine gezielte Anwerbepolitik für Computerexperten im Rahmen der "Green-Card-Politik" der Bundesregierung. Die EU-Einwanderungspolitik beschäftigt sich mit dem längerfristigen, also drei Monate überschreitenden Aufenthalt von Angehörigen aus Drittstaaten in der Europäischen Union. Auch wenn der EG-Vertrag nach Amsterdam die Möglichkeit vorsieht, ein gemeinsames europäisches Einwanderungsrecht zu erlassen - in der Realität wird dieser Politikbereich wohl bei den Mitgliedstaaten verbleiben, die ihre nationale Souveränität gewahrt wissen wollen (Anmerkung: Das Aufenthaltsrecht ist Knochenmark von Staatlichkeit). Vorgesehen ist daher, in einem Prozess der offenen Koordinierung die Zuwanderungspolitik für Drittstaatsangehörige (also Menschen aus Nicht-EU-Staaten) schrittweise aneinander anzugleichen. Zudem besteht in den EU-Mitgliedstaaten nach wie vor eine hohe Arbeitslosigkeit. Die Bereitschaft, Menschen den Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt zu erlauben, ist daher sehr begrenzt.

Flüchtlinge und Asylbewerber: Nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 - von allen EU-Staaten unterzeichnet - sind Flüchtlinge "Personen, die ihr Heimatland wegen Furcht vor Verfolgung, aus politischen, religiösen, ethnischen, nationalen Gründen oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verlassen mussten". Dementsprechend existieren zwar in allen westeuropäischen Staaten in unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltungen Regelungen zur befristeten oder langfristigen Aufnahme von Flüchtlingen oder zur Gewährung von Asyl. Trotzdem steht gerade die Aufnahme aus humanitären Gründen immer wieder im Zentrum innenpolitischer Kontroversen in allen EU-Mitgliedsländern. Als Folge einer Politik der Einschränkungen, Asyl beantragen zu können (etwa in dem zahlreiche Länder grundsätzlich zu ‚sicheren Herkunftsländern' erklärt wurden), ist seither in allen EU-Staaten eine deutliche Verringerung der Zahl der Asylsuchenden zu beobachten. Die Zahl der jährlichen Asylanträge in der EU liegt gegenwärtig bei etwa 400 000. Die EU-Asylpolitik der Vergangenheit war vor allem durch zahlreiche Programme zur konkreten Unterstützung der Asylbewerber und der Flüchtlinge sowie durch die Abstimmung verfahrensrechtlicher Regelungen, insbesondere durch das Dubliner Abkommen und das Schengener Durchführungsübereinkommen (z.B. zur Regelung der Zuständigkeit für Asylanträge), gekennzeichnet. Seit 2003 sind Mindestnormen für Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in Kraft. Damit sollen die Lebensbedingungen von Asylbewerbern in den EU-Mitgliedsstaaten auf ein einheitliches Niveau gebracht werden. Mehrfach gestellte Asylanträge werden zudem mittels einer EU-weiten Datenbank (Eurodac) mit Fingerabdrücken der Asylbewerber verhindert. Weiterhin gibt es Bestimmungen, die auch Mindeststandards für das Asylverfahren in den Mitgliedsstaaten selbst festlegen. Die Europäische Union hat außerdem in den letzten Jahren zahlreiche EU-weite Mindestnormen für die Integration von Zuwanderern erlassen. Diese gelten für Ausländerinnen und Ausländer, die aus Staaten außerhalb der EU, sogenannten Drittstaaten, zuwandern. Ihre Eingliederung soll einen Beitrag dazu leisten, die sinkenden Bevölkerungszahlen in den meisten EU-Staaten in den kommenden Jahrzehnten auszugleichen. Außerdem soll Europa als Zuwanderungsziel im Konkurrenzkampf mit den USA oder Kanada um hoch qualifizierte Fachkräfte attraktiv sein.

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Quelle: Alfredo Märker, Zuwanderungspolitik in der Europäischen Union,
Europäisierte Lösungen oder Politik des kleinsten gemeinsamen Nenners?,
in: Aus Politik und Zeitgeschichte (B 8/2001)

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